Als Antragsteller: diese Änderung soll Original und A2 ersetzen.
Der Ukrainekrieg stellt uns vor neue innerparteiliche Fragen, insbesondere hinsichtlich der friedenspolitischen Ausrichtung des Grundsatzprogramms von B90/Grüne. Im bisher beschlossenem Grundsatzprogramm ist nicht umsonst folgender Abschnitt beschlossen:
"(390) Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktatoren, menschenrechtsverachten de Regime und in Kriegsgebiete verbieten sich. "
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.2.2022 sind wir als friedenspolitisch motivierte Partei in ein Dilemma geraten. Können wir an unserem Grundsatzprogramm weiter festhalten oder müssen wir unsere Haltung revidieren oder differenzieren ? Der Deutsche Bundestag hat mit überwältigender Mehrheit für Waffenlieferungen, auch schwere, im Fall des Ukrainekrieges gestimmt. Müssen wir deshalb trotzdem unsere bisherige Überzeugung verwerfen und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ermöglichen ? Der Bundesvorstand hat einen Leitantrag verfasst, der eine Änderung dieses Grundsatzes - keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete - impliziert und ermöglicht. Aus basisdemokratischer Sicht ergibt sich für uns als Partei aus dieser Situation nicht zwingend eine Änderung des Grundsatzprogramms: die Trennung von Amt und Mandat und die Unabhängigkeit unserer gewählten Parlamentarier*innen ermöglicht aus Perspektive der Partei auch ein Festhalten am bisherigen Grundsatzprogramm. Der Vorschlag des Bundesvorstandes ist ein zu diskutierender "Game changer" für die bisherige friedenspolitische Ausrichtung von B90/Grüne, unabhängig des aktuellen Krieges - er schlägt eine deutliche Abkehr von bisher gültigen Grundsätzen grüner Friedens- und Sicherheitspolitik vor. Einerseits dürfen wir unsere über viele Jahre erarbeiteten Leitmaxime nicht leichtfertig über Bord werfen, andererseits müssen wir feststellen, dass es Situationen in Konflikten gibt, die Waffenlieferungen ermöglichen müssen um die Vernichtung von Staaten zu unterbinden, wie hier im Fall der Ukraine.
Angesichts dieses Dilemmas ist der Leitantrag des Bundesvorstandes in dem entsprechenden Abschnitt zu pauschal gehalten: wenn wir Waffenlieferungen in Kriegsgebiete in Erwägung ziehen wollen müssen die Hürden dafür sehr hoch sein. Der Leitantrag sollte daher mindestens um folgende drei Punkte erweitert:
1) die Berücksichtigung der international anerkannten Menschenrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit: Waffen sind Tötungsmaschinen, die prinzipiell zunächst immer gegen diese Menschenrechte gerichtet sind. In Ausnahmen kann es nötig werden, Wafffenlieferungen trotz der damit verbundenen Einschränkung diese Rechte durchführen zu wollen, das muss sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
2) Waffenlieferungen in Kriegsgebiete dürfen nur zusätzlich als Ultima ratio (wie bereits ähnlich an anderer Stelle im Grundsatzprogramm deklariert) und immer an maximale und parallel weiterlaufende diplomatischen Bemühungen gekoppelt sein. Unser primäres Ziel als friedenspolitisch motivierte Partei muss es sein, die bewaffnete Auseinandersetzung zu beenden.
3) Parlamentsvorbehalt: sollte es zur Frage von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete kommen, sollten wir das für uns als B90/Grüne an ein Mandat des Deutschen Bundestages koppeln. Es war bisher eine Forderung von B90/Grüne zur besseren Kontrolle von Rüstungsgütern Rüstungsexporte an ein Mandat des Deutschen Bundestags zu binden. 2014 wurde durch Hans-Christian Ströbele eine entsprechende Verfassungsklage eingereicht und leider abgewiesen. Trotz dieser Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht (im Gegensatz zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr muss das Parlament Rüstungsexporten der Bundesregierung nicht zustimmen !) sollte es für uns Bündnisgrüne, gerade da wir jetzt auch einen Teil der Bundesregierung stellen, zur demokratischen Selbstverständlichkeit gehören, in so einer wichtigen Entscheidung immer den Deutschen Bundestag miteinzubeziehen.
Erst dann sollten Waffenlieferungen in Kriegsgebiete unter grüner Zustimmung verabschiedet werden können. Es muss klar sein, dass nur Diplomatie Konflikte lösen kann und Waffenlieferungen nur ein Mittel zur Erreichung diplomatischer Lösungen darstellen.
Kommentare
Thomas Pfeiffer:
https://www.bundestag.de/resource/blob/892384/d9b4c174ae0e0af275b8f42b143b2308/WD-2-019-22-pdf-data.pdf
Daraus der entscheidende Abschnitt:
„Gilt es also, der Verletzung des Gewaltverbotes (Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta) durch einen Aggressor- Staat als Staatengemeinschaft entgegen zu treten,7 ist heute kein Staat mehr zur „Neutralität“ ge- genüber den Konfliktparteien verpflichtet. Jeder Staat kann und darf den angegriffenen Staat un- terstützen, ohne dabei selbst Konfliktpartei werden zu müssen; dabei nimmt der unterstützende Staat eine nicht-neutrale, gleichwohl aber am Konflikt unbeteiligte Rolle ein.8 Diese Rolle (non- belligerency) ist zu unterscheiden von der kollektiven Selbstverteidigung/Nothilfe gem. Art. 51 VN-Charta. Auch hier wird dem angegriffenen Staat militärische Hilfe geleistet – aber als Kon- fliktpartei.
Bei Unterstützungsleistungen auf der Grundlage von non-belligerency bleibt der Umfang von Waffenlieferungen,9 aber auch die Frage, ob es sich dabei um „offensive“ oder „defensive“ Waffen handelt, rechtlich unerheblich.10 Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.11“
Thomas Pfeiffer: